Ars rogandi
Sicherlich geht es bei der „Fragekunst“ auch um das Sesamstrassenprinzip im Sinne „wer nicht fragt, bleibt dumm! Mir geht es aber insbesondere um die Ermöglichung sich eines eigenen Bildes bedienen zu können. Sinnvolle Fragen sind offen für die Wechselwirkung. Dabei zeigt sich, „Fragen können wie Küsse schmecken“, wie Carmen Kindl-Beifuß dies in ihrem gleichnamigen Buch so wundervoll beschreibt. Traurig ist, dass schulische Prozesse die Fragebewegungen der Kinder durch ihre „Osterhasendidaktik“ oder Glaskugelpädagogik häufig zunichtemachen. Nicht minder problematisch ist, dass viele Fragen dazu dienen, meine eigenen Antworten einzuleiten und gleichsam aus dem Hinterhalt springend zu liefern.
Ich teile die Aussage von Kindl- Beifuß das Fragen der Schlüssel zu unglücklichen Herzen sind, sie Bewegung und spannende Reisen zu sich selbst und in neue Welten ermöglichen. Es geht dabei aber um wirkliche Fragen die die Unberechenbarkeit der Antwort in sich tragen. In diesem Sinne können sie Interventionen sein, die Wirkungen zeigen. Jedoch nicht im Sinne des bewirken, damit „Du“ die richtige Antwort findest. Grundlage ist hierbei die Haltung des „Nichtwissenden“ was die Antwort meines Gegenübers betrifft. Ich möchte wirklich die Gedanken meines Gegenübers hören und sehen, was meine Fragen an Reaktionen und Ideen hervorrufen. Dazu braucht es Zeit. Eine assoziationsoffene Frage wird deshalb häufig mit einer Pause oder dem Hinweis „Eine gute Frage, darüber muss ich nachdenken“, beantwortet. Und darum geht es, um das Ermöglichen von Auseinandersetzung mit dem Bild was mir als Frage präsentiert wurde. Nachdenken dürfen im Gegensatz zu schnellen Antworten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es bei den Antworten einen Unterschied zwischen respektieren und akzeptieren gibt. So verweist Jürgen Hargens zutreffend, nur „weil ich etwas respektiere, ist dies nicht damit gleichzusetzen, dass ich es auch akzeptiere“. (2010, S.21) Deshalb gilt es mit jeder Frage nachzuspüren und nicht nur nachzuhören was da wirkt. So hilft es auch nicht, Fragen auswendig zu lernen und sie methodisch herunterzuleiern. Sie müssen aus der Tiefe des Kontaktes zwischen mir und meinem Gegenüber entstehen. Dazu braucht es Übung sich selbst zu spüren, wie die Wirkungen der Anderen auf mich sind. Also bitte ich um Geduld mit sich Selbst.
Doch Vorsicht, eine Frage kann auch stechen, da sie etwas hervorbringen kann, an das ich als Fragender zunächst nicht gedacht habe. Auch hier gilt die kommunikationstheoretische Regel, dass die Bedeutung der Botschaft immer der Empfänger bestimmt und nicht der Sender. Gleiches gilt natürlich für Senderin und Empfängerin. Zwischen Frageabsicht und Hörerabsicht gibt es evtl. gravierende Unterschiede die sich nicht nur in den Antworten niederschlagen. Fragen sollten des der Achtsamkeit dienen und ein Kontaktangebot sein. Überraschungen und nicht nur Bestätigungen der Gewissheit sind dabei ein Kriterium der Güte. Deshalb sollte der oder die, der/die Antwort schon weiß, sich die Frage sparen. Sie dient häufig nur der Selbstbestätigung. Eine gelungene Frage eröffnet Perspektiven und kann dabei auch verunsichern. Ich verstehe darunter die emotionale Labialisierung, für einen Moment ist mein Glaubenssatz aufgelöst und ich sehe etwas anders. Denn wie zitiert Rolf Arnold so treffend: „Wir sehen das was wir glauben, und glauben das was wir sehen“. Deshalb müssen wir auch vorsichtig sein mit den Fragen, um nicht völlig den Boden unter den Füßen weg zu ziehen. Oder im Sinne von Carn Kindl-Beifuß, wer mag schon diese schlabrig nassen Küsse die wir von den Älteren aufgedrückt bekommen haben?
Nicht nur trockene Ideen und Bedenkliches zur Fragekunst finden sich u.A. bei:
Carmen Kindl-Beifuß: Fragen können wie Küsse schmecken. Systemische Fragetechniken für Anfänger und Fortgeschrittene. 4. Auflg. Heidelberg 2013
Rainer Schwing/ Andreas Fryszer: Systemisches Handwerk. Werkzeug für die Praxis. 4. Auflg. Göttingen 2010
Andreas Patrzek: Systemisches Fragen: Professionelle Fragetechnik für Führungskräfte, Berater und Coaches. 2. Auflg. Wiesbaden 2017
Maja Storch: Machen Sie doch, was Sie wollen! Wie ein Strudelwurm den Weg zu Zufriedenheit und Freiheit zeigt. 2. Unveränderte Auflg. Bern 2016
Jürgen Hargens: So kann`s gelingen… Rahmen hilfreicher Gespräche im beraterisch-therapeutischen Kontext. Dortmund 2010
(J.Kettner 14.09.2018)
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